Sonntag, 20. September 2009

Die Politikverdrossenheit

Wenn man den Medien und dem sonstigen Geschnattere glauben soll, dann herrscht in Deutschland eine schwergewichtige Politikverdrossenheit…

Laut Wikipedia steckt dahinter folgender Sachverhalt:
Politikverdrossenheit bezeichnet die negative Einstellung der Bürger in Bezug auf politische Aktivitäten und Strukturen, u.U. resultierend in Desinteresse und Ablehnung von Politik und politischem Handeln. Politikverdrossenheit führt zur mangelnden Partizipation am politischen Prozess. Diese Haltung kann generell die ganze politische Ordnung betreffen oder sich nur auf Ergebnisse politischer Prozesse beziehen.

Nun ja, auch im direkten Umfeld hört man auch desöfteren, dass man die Wahl bzw. die Politik in Deutschland nur als großes langweiliges Theater empfindet und man sich deshalb nicht darum kümmere oder diese ignoriert.

Auch mir steht das Geseiere manchmal bis zum Hals, aber grundsätzlich würde ich doch behaupten, dass die politische Spannungslage – insbesondere jetzt, eine Woche vor der Wahl - doch recht erquickend ist und mich nicht dazu veranlasst, insgesamt verdrossen zu sein.

Zugegeben, die Wahlplakate sind in diesem Jahr auch wieder nur rot, grün, gelb oder sonstigen Farben, mit fetten Lettern und meist mit der Abbildung von isometrisch-ordnungsgemäßen gescheitelten Köpfen.

Das Kanzlerduell war jetzt auch nicht unbedingt der Sonntags-Abend-Hollywood-Blockbuster. Aber was hat man denn erwartet? Lautes Angebrülle, Tränenausbrüche, schallende Ohrfeigen...
Dafür sind andere TV-Formate zuständig, wie z.B. die "Supernanny" oder "Bauer sucht Frau" oder „Die Stars und Modells auf Pro7“ etc.

Einen Obama mit zugehörigen Web 2.0 Wahlkampf inkl. all der engagierten Wahlhelfer, haben wir auch nicht am Start.
Die zugehörigen übertriebenen und emotional triefneden U.S. Shows würden meiner Ansicht nach auch nicht unbedingt in unser Ländle passen.

Auch werden sich hier kaum so viele potentielle Wähler für einen Wahlkampf einspannen lassen, um mit Fähnchen oder aktiv im Web oder per Outbound-Call, ehremamtlich für Ihren Kandidaten Wahlkampf zu betreiben.

Trotz all der Wünsche nach mehr Pepp im Wahlkampf, ist Politik bei uns in der breiten Masse doch immer noch etwas staatstragendes, was entsprechend schwerfällig, manchmal verkrampft und eben nicht wie eine bunte Party zelebriert wird.

Und man gibt sich eben meist eher Politikverdrossen, als das man sich auf ein engagiertes Kommittent einlassen würde, was man denn wählen würde.

Die politische Einstellung oder Wahlfavorit wird von vielen nicht gerne ausgeplaudert, genau so wenig, wie man z.B. nicht offen ausplaudert, was man verdient… Vielleicht gibt es hier ja einen Zusammenhang mit den hiesigen historischen Begebenheiten, die hinsichtlich Politik und sonstigen kulturellen Gepflogenheiten, doch etwas anders gewachsen ist, als in den U.S.A.

Wie auch immer, gibt es hierzulande - trotz aller trägen Altlasten - teilweise recht innovative Bewegungen, gerade bei den kleineren und neuen Nischenparteien, die so manche Veranstaltung, jenseits der Kanzlerduelle, sehr spannend werden lassen.

Auch gibt es z.B. interessante, eigentlich unpolitische Aktionen, die plötzlich auf politischer Bühne ausgetragen werden. Z.B. den „Yeah-Flashmob“ am Freitag in Hamburg, während einer Kanzlerrede-Veranstaltung von und mit Angie auf dem Gänsemarkt.

Ein Flashmob bezeichnet dabei einen kurzen, scheinbar spontanen Menschenauflauf auf öffentlichen oder halböffentlichen Plätzen, bei denen sich die Teilnehmer üblicherweise persönlich nicht kennen. Flashmobs werden über Online-Communitys, Weblogs, E-Mail-Kettenbriefe oder per Mobiltelefon organisiert.

Vom Hamburger „Yeah-Flashmob“ habe ich Freitag mittags via Twitter erfahren und dann via Netzfischer-Blog. Hier zu lesen.

Dann wurde der Flash-Mob live übertragen und letztendlich innerhalb weniger Minuten in Youtube eingestellt.



Am nächsten Tag gab es hierzu auch Beiträge im Web z.B. auf Spiegel und im TV.

Ich frage mich, ob dieser Flashmob - und insgesamt alle Flashmobs - unpolitisch sind bzw. bleiben können. In diesem Fall fand der Flashmob ganz klar auf einer politischen Bühne statt.
Auch wenn dieser Flashmob genauso unpolitisch, wie die meisten bisherigen Flashmobs initiiert wurden, können die sehr zynischen „Yeah-Zwischenrufe“ nicht gerade als zustimmendes oder unpolitisches akustisches Geständnis gewertet werden…

Was mich auch kritisch stimmt, war wieder einmal die Präsenz der „Piratenpartei“, die sich mit einer Fahne gut im Bild der übertragenden Medien postierten.
„Geschickt reingekapert“ sag ich da nur oder war es nur Zufall oder wurde dieser Mob sogar von den Piraten via Internet/Web lanciert…?

In der Wahrnehmung vieler unbescholtener Bürger und User proklamieren sie in ihrem "Programm" ja bereits viele Stimmungen, Trends und Aktionen des Internets für sich.

Bei diesem Flashmob bleibt für mich unklar, ob dieser nun politisch initiert war oder lediglich, über eine zufällig im Bild geschwenkte Fahne im Video, nachträglich politisch gekapert wurde.

Dafür müsste man den Organisator oder besser denjenigen ausfindig machen, der die Idee auf das Wahlplakat kritzelte und damit den Zünder für den Ideen-Flashmob lieferte. Da nach der Ideenfindung und erster Kundgebung im Web, die Informationsverteilung webtypisch assymmetrisch verlief, kann man im Nachhinein aber nicht sicherstellen, ob sich nun überwiegend viele gut im web-organisierte politisch engagierte User bzw. Bürger eingeklinkt haben und den Flashmob ihrerseits in ihrer Gesinnungsseilschaft weiter politisiert haben…

Oder hat irgendjemand mitgeschnitten, wie sich die Flashmob-Gesellschaft über welche Kanäle organisiert hat, wer dabei die "Haupt-Influenzer" waren und welche politische Gesinnung mit welchem prozentualen Anteil dann letzttendlich beim Flashmob anwesend war?

Wie auch immer, ein Flashmob mit einer Ansammlung von vielen Menschen, die irgendetwas aufführen, aussagen, zeigen, rufen etc., werden immer irgendwie ein kommunikatives Gewicht bzw. Wirkung haben.

Die „Gefahr“ der Ausnutzung für politische oder kommerzielle Zwecke, ist dabei immer vorhanden….

Aber vielleicht ist ein Flashmob eine neue Form der politischen Kundgebung, wo sich die Anhänger ganz spontan zusammenfinden und sich nicht vom Podium mit einer Rede berieseln lassen. Selbst organisiert und engagiert, mit eigener Botschaft, ganz unverdrossen in der Öffentlichkeit.

Man sollte die Flashmobs dann aber vorher entsprechend klassifizieren. Z.B. mit „Achtung politisch“ oder "potentiell politisch" und zusätzlich einem „Ampelsytem, wie man es gerade bei der Lebensmittelklassifizierung einführt.

All zu schnell ist man da als "unpolitischer harmloser Flashmob-User" ggf in eine politische Bewegung bzw. den zugehörigen politischen Flashmob reingerutscht, die einem gar nicht zusagt und ganz weit links oder rechts oder im Niemandland angesiedelt ist... Und dann wird in diesem Umfeld ganz plötzlich noch per Live-Webcam und per Youtube im Web verewigt.

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